Interview: Anett Böhm
Leipzigs Aushängeschild in Sachen Judo
Eigentlich ist sie eine Routinierte. Eigentlich ist sie eine Athletin, die auf den Punkt von Null auf Hundert fit und konzentriert ist. Eigentlich. Sprache verrät, denn eigentlich heißt eigentlich nicht. Im entscheidenden Kampf in Peking gehört ein kurzer Gedanke nicht dem Geschehen auf dieser, sondern dem auf der nächsten Judo-Matte. »Sobald man nachdenkt, kann man verlieren«, erklärt sie. Ein Wimpernschlag entscheidet: Anett Böhm, die erst führt, unterliegt ihrer Gegnerin. Am Ende trennt sie nur ein Platz von Bronze. In Athen 2004 errang sie es.
Umso herber scheint ihr nun die Niederlage. Ihre schönen grünen Augen spiegeln noch immer etwas von dem Schmerz wider. Schnell werden die aber wieder lebhaft, fast fröhlich, wenn sie von ihren Judo-Anfängen erzählt. Sie war 7, ein Mädchen aus der Parallelklasse trainierte regelmäßig. »Meine Eltern nervte ich solange, bis sie mich auch gehen ließen«, weiß sie noch. Sie begann beim PSV Glauchau.
Erhardt und Michael Hinke (Vater und Sohn) habe ihre Aufgabe als Trainer so gut gemacht, dass Judo für Annett das Schönste wird. Es gab sogar Geburtstage, an denen sie sich für zwei Stündchen zum Training weg stahl. Ihr Einsatz trägt Früchte.1995 kommt sie nach Leipzig ans Sportgymnasium und zum Olympiastützpunkt.
Seit 2000 ist sie in ihrer Gewichtsklasse in Deutschland die Nummer 1. Und auch international sammelte sie Spitzenplätze. Für Peking hat sie vier Jahre hart trainiert. Am Tag 2 bis 3 Einheiten (insgesamt fünf Stunden), dazu kommt Physiotherapie – und das 6mal die Woche. Viele Judo-Regeln haben sich seit Athen geändert, auf die musste sie sich zusätzlich einstellen. Da auch die Konkurrenz sich verändert und die Leistungsdichte in Deutschland fehlt, war sie ab Herbst 2006 bei vielen internationalen Wettkämpfen dabei.
Verletzungen zwangen sie immer wieder zu Pausen und zum Neuansetzen. Ihre Eltern hat sie lange nicht mehr gesehen. Sie denkt kurz nach: »Meinen letzten Urlaub hatte ich im Frühjahr 2007. Da war ich einige Tage an der Ostsee.« Auch wenn die Bitterkeit über das verpasste Olympiametall noch ein wenig nachklingt, einige der wenigen schönen Septembertage hat sie für einen kleinen Ausflug in die Nähe von Berlin genutzt. Eine Paddeltour.
»Ohne Sport geht’s auch nach dem Leistungssport nicht“, greift sie die Frage nach dem Danach auf. Im Augenblick will sie sich da aber noch nicht fest legen. »Das entscheide ich Jahr für Jahr neu«, sagt sie. Die diplomierte Sportwissenschaftlerin hat ihre Fühler schon nach neuen Aufgaben ausgestreckt. Die Arbeit mit den Medien machte ihr schon in Athen Spaß. Ihre Texte im Fernstudium zur Journalistin wurden bisher alle gut bewertet. Zwei Praktika beim MDR haben sie bestärkt. Und da sie eine ist, die ihre Projekte konzentriert angeht, ist es sicher, dass sie auch dabei die Konkurrenz von der Matte fegen wird.
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